„Situationen sind ja für Fotografen am Ende doch auch Material.“
von Sven Drühl
Julian Röder wurde 1981 in Erfurt geboren und ist in Berlin aufgewachsen. Als erster und einziger Lehrling wurde er ab 1997 bei der renommierten Fotografie-Agentur Ostkreuz ausgebildet. Danach studierte er bei Arno Fischer an dessen Schule Fotografie am Schiffbauerdamm (fas), an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und an der HAW Hamburg. Röders Bildsprache reicht vom Dokumentarischen bis zum Stilisierten und zur Inszenierung, gezielt nutzt er die Ästhetik der Werbung, der Reportage, aber auch der Kunstgeschichte. Seine Werke sind in der Regel politisch, inhaltlich arbeitet er sich an den großen gesellschaftlichen Themen ab: Globalisierung, Krieg, Grenzen, gesellschaftliche Brüche und immer wieder Kapitalismus in all seinen mitunter absurden Facetten. Röder bleibt häufig nicht nur stiller Beobachter, sondern geht in die jeweiligen Situationen, er konfrontiert sich mit den Begebenheiten. Röder lebt und arbeitet in Berlin.
Sven Drühl: Du hast die G7- und G8-Gipfel der Jahre 2001 bis 2008 besucht. Manche Fotos sehen aus, als wärst Du mitten im Geschehen. Gehörst Du zum militanten Arm der Antifa bzw. zur Protestbewegung der Gipfelgegner?
Julian Röder: Ich war nie Teil einer organisierten Struktur, aber in den Kreisen, in denen ich mich damals bewegte, wurde Militanz durchaus als eine politische Ausdrucksform gesehen.
Betrachtet man die Summits genauer, fällt auf, dass Du anfangs wie in Genua, dem Gipfel, der wegen der dortigen unglaublich brutalen, gewalttätigen Polizeiübergriffe unschöne Berühmtheit erlangte, Teil der Menge bist. Die Fotos vermitteln kaum Distanz, sondern eine reportageartige Direktheit, ähnlich Fotos aus Krisengebieten. Mit jedem folgenden Gipfel trittst du als Betrachter jedoch weiter zurück. In Heiligendamm gibt es viele Fotos aus der Entfernung und in Japan 2008 schließlich bist Du sogar weit abseits des Geschehens. Was hat sich da verändert? Kannst du das erklären?
Ich glaube, das hatte einfach mit meiner eigenen Entwicklung im Laufe dieser Jahre zu tun. Zu Beginn bin ich immer mit einigen Freunden oder Gruppen von Bekannten mitgefahren. Im Laufe der Zeit hat sich einerseits die Bewegung verändert und andererseits auch mein Zugang zu ihr. Vielleicht bin ich da einer Radikalität entwachsen zugunsten einer weiteren überblicksartigen Differenzierung. Um Zusammenhänge sehen zu können, lohnt es sich eben oft auch ein paar Schritte zurück zu gehen.
Wie kommst du eigentlich zu deinen Fotos? Sind etwa die Summits zuerst Auftragsarbeiten für Magazine gewesen oder von Beginn an aus deinem künstlerischen Interesse heraus entstanden?
Der wirklich anfängliche Grund diese Bilder zu machen, war einfach meine Begeisterung für die globalisierungskritische Bewegung. Damals in der Prä-Smartphone-Zeit sind Bilder ja auch noch nicht wie von selbst entstanden. Ganz zu Anfang wollte ich einfach gute Bilder machen. Bilder, die so gut sind, dass die Betrachter erstmal auf einer sehr zugänglichen ästhetischen Ebene abgeholt werden. Der Schritt danach – so meine Hoffnung – sollte dann sein, dass sich der Betrachter für das, was drauf ist, interessiert. So in etwa würde ich mein Anfangsinteresse beschreiben. Keine Ahnung, ob ich das überhaupt als künstlerisches Interesse einordnen würde. Auf jeden Fall bin ich aus eigener Motivation hin.
Ist denn diese Unterscheidung zwischen Auftrag und künstlerischem Eigeninteresse für dich überhaupt wichtig?
Ja klar, die Unterscheidung ist für mich schon wichtig. Ich glaube, man arbeitet komplett anders, wenn man die Erwartungshaltung von jemand Anderem mit im Kopf hat. Diese Erwartung kann ja auch schon sein, mit wenigstens einem verwendbaren Bild zurückzukommen. Was im Zweifel bedeuten kann, dass man was abgeben muss, was dem Anspruch im Rahmen der eigenen Arbeit gar nicht genügt. Da ist es doch viel spannender in einen ergebnisoffenen Raum hineinzuarbeiten. Andererseits sind die ganzen Jobs, die ich so im Laufe der Jahre gemacht habe, auch ein gutes Training gewesen. Man wird in unterschiedlichste Situationen gebracht, in denen man schnell irgendetwas hinbekommen muss. Auf eine Art schult das sehr, wie man Situationen erfassen, einschätzen und steuern kann. Situationen sind ja für Fotografen am Ende doch auch Material.
Betrachtet man etwa das Foto aus Heiligendamm 2007, mit den sich ausruhenden Polizisten unter der großen Eiche, kann man als Betrachter gar nicht anders, als Parallelen zu Gemälden der Romantik, speziell von Caspar David Friedrich, zu sehen. Das prägnante Idylle-Setting, die Pathoslandschaft mit weiter Natur…der kleine Mensch, der unterm Baum rastet. Ein anderes Foto zeigt einen martialisch ausgestatteten Demonstranten mit Gasmaske und pinkem Helm, Handschuhen und Überwurf auf einem Mauerstück stehen. Er ist zwar nicht in Rückenansicht, aber er erinnert mich dennoch sofort an Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“. Sind solche Kunst-Bezüge gewollt? Hast du solche Vorbilder im Kopf, wenn du auf den Auslöser drückst? Oder vielleicht hinterher beim Sortieren des Materials? Setzt sich da der Zitate-Sampler in Gang?
Da bin ich mir sicher, der Sampler läuft mit Spielfreude. Merkwürdigerweise ist es nur so, dass es bei der Arbeit an den Summits eher unterbewusst passierte. Irgendwo flackerten diese kunstgeschichtlichen Schatten in meinem Kopf rum und offenbar versuchte ich, sie beim Fotografieren und späteren Auswählen, in meinen Aufnahmen zu verknüpfen. Das ist eher eine Mischung aus Empfindungen und Irgendwo-schon-mal-gesehen-Assoziationen.
Drückst du eher 500 Mal auf den Auslöser und suchst dann hinterher aus der Masse das eine gelungene Foto heraus? Oder gehst du gezielter vor und komponierst schon beim Betrachten, um dann im richtigen Augenblick zu fotografieren?
Ich baue mir das Bild schon in der Situation zurecht, aber dennoch kommt es oft eher einem Raussammeln gleich. Ich wollte es mal genau wissen und habe daher gerade nachgezählt. Für The Summits habe ich etwa 7450 Mal auf den Auslöser gedrückt.
O.k., das ist krass viel!
Darin enthalten sind aber auch die Auslösungen einer Reise zu einem G20 Gipfel 2010 nach Seoul. Von denen hat am Ende kein einziges Foto Eingang in die Serie gefunden, weil ich mit keinem der Bilder ausreichend zufrieden war! Letzten Endes besteht der ganze fotografische Prozess aus Selektion. Angefangen bei den Gedanken über die Thematik der Arbeit weiter zur Auswahl der Kamera. Dann der Moment, in dem man im Bruchteil einer Sekunde in Ausschnitt und Perspektive die Farben der Welt selektiert. Dann die Auswahl der fertigen Bilder. Der Fotograf als Editor einer Weltwahrnehmung.
Deine nächste große Serie „World of Warfare“ behandelt das Thema Krieg, aber gerade nicht, indem Du militärische Einsatzgebiete oder weltweite Krisenherde besuchst, um von der Front zu berichten. Stattdessen gehst Du an einen der Orte, der das moderne Morden überhaupt erst ermöglicht: eine Waffenmesse, genauer die IDEX – International Defence Exhibition and Conference – in Dubai. Wie kommt man eigentlich damit klar, sich inmitten von Waffenhändlern, Vertretern von Rüstungsunternehmen und Militärs wiederzufinden?
Ich erinnere mich an den Moment, als ich im Transitbereich des Istanbuler Flughafens an dem Gate des Fluges nach Abu Dhabi ankam. Ich schaute mich um und sah alle diese geschäftig erregten Männer in ihren Anzügen und es war klar, dass so gut wie jeder hier zu dieser Kriegsgeräteschau fliegen würde. Da war es mir wirklich mulmig zumute in dieses Flugzeug zu steigen. Ich dachte einfach die ganze Zeit daran, dass ich, als Kollateralschaden des Schicksals, mit all diesen Typen abzustürzen könnte. Auf der Messe war es eine Mischung aus beklemmendem Gefühl und der Freude daran, draufhalten zu können. Um nicht vollkommen suspekt zu wirken, musste ich ja auch versuchen, halbwegs fachmännische Fragen zu dem gezeigten Zeug zu stellen. Meistens ging das ziemlich daneben, so dass ich mich viel und schnell bewegt habe.
Künstlerisch gesehen bietet dieses zynische Schauspiel der IDEX ja unglaublich viel Futter. Da werden Schülergruppen zu Panzerfäusten geführt, Studentinnen schauen sich die neuesten Raketensysteme an, ein Vater setzt seinen kleinen Sohn für ein Foto in ein Militärfahrzeug und junge Soldaten in Ausgehuniform haben Geschenktütchen am Handgelenk. Das ist sozusagen Realsatire… du schaffst es aber, das Ganze nicht allein ins Komische abdriften zu lassen. Die Fotos thematisieren unter anderem gleichzeitig das perverse Business, die Klein-Jungen-Technikbegeisterung und vor allem Machtgefüge. Was hat dich dazu bewogen, nach Abu Dhabi zu fliegen? Und wie bekommt man überhaupt Zugang zu einer solchen Messe? Da reicht doch nicht einfach ein Presseausweis oder?
Ich habe zuvor schon viel auf Messen fotografiert. Es sind einfach wahnsinnig spannende Räume, weil auf den Messen der Markt die dichteste und sichtbarste Form hat. In Human Resources, einer vorangegangenen Arbeit, habe ich mich eher damit beschäftigt, zu was Menschen werden, wenn sie in Räumen stehen, die auf vollkommende Produktpräsentationen hin gestaltet sind. Ein Freund erzählte mir dann von dieser Waffenmesse in den Emiraten. Für mich war klar, dass Waffen und Männer in Anzügen das perfekte Destillat für ein Bild von Macht und Ökonomie wären. In den Akkreditierungsbedingungen auf der Website der Messe stand, dass nur Medien mit einem spezifischen Focus auf die Verteidigungsindustrie und führende Wirtschaftsmagazine zugelassen werden. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, sicherheitshalber eine Waffenzeitschrift für eine Zusammenarbeit anzufragen. Zum Glück hat eine Kooperation mit dem ZEIT-Magazin dann am Ende aber auch ins Schwarze getroffen.
Kannst Du erläutern, was die „World of Warfare“ deiner Meinung nach thematisiert? Vielleicht ist das ja auch noch etwas Anderes als das bereits angesprochene? Ich neige ja dazu, in den Fragen manchmal schon den Inhalt vorzugeben…
Naja, was da für mich da natürlich auch drinsteckt, ist ein Bild der Verfasstheit unseres Gesellschaftssystems, in dem alles zur Ware oder einem handelbaren Wert gemacht werden muss. Erst einmal unabhängig davon für wen, oder ob es zu einem guten Leben beiträgt. Das führt dann eben dazu, dass es Märkte für die miesesten Dinge gibt, wie Wetten auf Zahlungsausfälle oder eben schweres Kriegsgerät. Solange Wirtschaftswachstum ein unabdingbares Prinzip unseres Gesellschaftssystems bleibt, wird man wohl immer wieder an den Punkt kommen, mit Expansionen moralisch fragwürdige Dinge zu tun. Das merkt man ja sogar im Kleinen schon oft. Am Ende der Fahnenstange – was für ein passender Begriff, denn es geht ja um Nationen – steht dann die Verteidigung und Erweiterung der Einflusssphären der Expansion mit militärischen Mitteln.
Lass uns noch ein wenig über deinen ästhetischen Ansatz reden. Manche deiner Bildausschnitte sind ja sehr eingreifend, etwa das Foto des Patronengurtes, der zwischen falschen Edelsteinen drapiert ist wie ein Luxus- bzw. Designgegenstand. Da geht es ganz klar um Komposition, aber auch um Lenkung des Blicks, um Setzung. Inwieweit sind die Fotos dieser Serie auch schon manipuliert oder arrangiert? Hast du beispielsweise Leute gebeten, etwas speziell fürs Foto zu tun? Etwa den Jeep mit einem Staubwedel zu bearbeiten?
Auf so einer Messe wird ja ohnehin viel drapiert und vorgemacht und alles steht eh voll mit Arrangements. Es geht ja darum, etwas zu präsentieren. Die Situation mit dem Staubwedel ist ohne mein Zutun entstanden. Allerdings wurde das Auto sicher auch sauber gehalten, damit es auf Fotos was hermacht. Viele der Absurditäten des Messegeschehens hätte ich mir selbst kaum ausdenken können. Da hat irgendwie die Realität die Satire überholt. Im Fall des Typen, der die Bombe hält, habe ich aber auch mit dem Darstellungsdrang der Händler gespielt und ihm gebeten, sie bitte mal für mich zu halten.
Und das hat er dann bereitwillig getan? Unglaublich! Also gibt es dort bereits den künstlerischen Eingriff, die Veränderung der realen Situation. Für deine nachfolgende Serie „Mission and Task“ hast Du Dich dann mit dem mittlerweile äußerst aktuellen Thema der Sicherung der europäischen Außengrenzen durch Frontex beschäftigt. Mich wundert, dass Du überhaupt Zugang zu den Einrichtungen, Stützpunkten oder auch Streitkräften bekommen hast. Wie ging das und wie haben die Leute dort auf dich reagiert?
Dazu habe ich zuerst bei Frontex ganz offiziell eine Anfrage gestellt. Ich musste dann einige Monate warten und dann erhielt ich plötzlich eine Genehmigung, in Griechenland Frontex-Einheiten zu fotografieren. Die Genehmigung bedeutete, dass die Frontex-Zentrale in Warschau die griechischen Behörden vor Ort darüber informierte, dass ein Fotograf kommen würde. Da die Hierarchieebenen noch sehr multilateral strukturiert sind, musste man jedes Mal aufs Neue schauen, ob die ausländischen Beamten von ihren Vorgesetzten das Ok bekamen mitzumachen. Die Beamten haben sehr unterschiedlich reagiert. Es gab manche die totale Lust auf eine willkommene Abwechslung hatten und Freude bei den Arrangements zur Darstellung ihrer Arbeit. Um herauszufinden, welche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben die EU in der Planungspipeline hat, habe ich auch auf wissenschaftliche Studien und EU-Dokumente zurückgegriffen. So habe ich z.B. von dem Projekt zur Meeresraumüberwachung durch Satelliten und Zeppeline erfahren. Das Interessante ist ja, dass bei diesen EU-Projekten das meiste öffentlich ist, man muss allerdings schon ganz schön buddeln.
Frontex soll ja dem Auftrag nach die Grenzen schützen, real macht die Einheit die Grenzen einfach nur dicht, oder? Ihr Auftrag ist Abschottung. Dies ist die Serie, bei der Du am Stärksten manipulativ eingegriffen hast. Du hast Dinge in Szene gesetzt, Menschen arrangiert und virtuos komponiert. Kannst du erklären, warum das in diesem Fall so wichtig war?
Mir war es wichtig, die Grenzschutzmaßnahmen als künstliche Konstruktionen – quasi als Abschottungsinszenierungen zu zeigen. Grenzen sind ja, wenn man drüber nachdenkt, eine recht willkürliche Sache. Am Ende geht es um die Behauptung des Anspruches auf Machträume. Wäre schön, wenn das auch Schutzräume sein könnten, aber an der Frage, wie universell gültig sie sein dürfen bzw. können, scheitern wir ja leider gerade. Zu Inszenieren und Licht aufzubauen war also wichtig, um die Grenzen als etwas Künstliches darzustellen. Damit geht ein hoher Grad der Affirmation an die Künstlichkeit von werblichen Aufnahmen einher. Das führt nicht unbedingt in eine falsche Richtung, denn schließlich geht es ja auch darum, hier eine Insel des Wohlstandes abzuschirmen. In der Serie liegt auch ein großer Fokus auf den Aufzeichnungsapparaten und bildgebenden Verfahren. Letztendlich ist die Tätigkeit, ein Bild von jemanden zu machen, ja auch schon eine Art Machtgeste. Im Zusammenhang mit Überwachung eher in dem asymmetrischen Verhältnis von ich verfolge deine Tätigkeiten, auch wenn du mich nicht siehst. Aber auch in der Fotografie gibt es dieses ungleiche Verhältnis: man nimmt ein Bild von jemandem, woraufhin ein Fremder die Möglichkeit hat, sich seine Gedanken und Theorien über den zur Schau gestellten zu machen.
Das ist ein interessanter Aspekt, das mit der Zur-Schau-Stellung. Aber lass uns nochmal ganz allgemein werden: wie kommst du eigentlich grundsätzlich zu Deinen Themen?
Ich reibe mich innerlich an Etwas auf und dann muss ich irgendwie eine Möglichkeit finden, es rauszulassen. Oder zumindest versuchen, es zu bearbeiten, um einen Umgang damit formulieren zu können. Es findet mich.
Abschließend muss ich noch etwas Blödes fragen, was sich aber einfach sofort aufdrängt, wenn man deine Fotos sieht. Bist du ein politischer Mensch? Also ich meine damit so etwas wie aktiv in irgendwelchen Gruppen, NGOs etc.?
Nein.