Der Maler Markus Lüpertz und der Fotograf Andreas Mühe haben sich zum ersten Mal vor zehn Jahren getroffen, als Mühe ein Porträt des Künstlers für das Zeit-Magazin anfertigte. Jetzt hat die Begegnung zu der gemeinsamen Ausstellung „Ancien Régime“ in der Kunsthalle Rostock geführt.
Der Lorbeerkranz ist verrutscht, der Bart zerzaust, die Leier verloren, die Finger greifen ins Leere. Phoibos Apollon, die Lichtgestalt der griechischen Mythologie, der Gott der Künste, wirkt anrührend windschief in den Zeichnungen von Markus Lüpertz. Im Berliner Bode-Museum hatte der Künstler die kleine Eichenholzskulptur „Apollo“ des norddeutschen Barockbildhauers Ludwig Münstermann aus dem Jahr 1615 entdeckt. Fasziniert von der Eigenartigkeit des ausgezehrten Körpers arbeitete er sich in fast hundert Zeichnungen an Münstermanns Sicht auf das klassische Ideal ab:
„Das war eben kein Apoll, wie wir uns den vorstellen. Wenn Sie die Skulptur gesehen haben, hätten Sie eher an einen Heiligen gedacht. Im Vergleich zu dem mediterranen Apollon ist er etwas abgezehrt oder erbärmlich. Und das hat mich auf eine Art berührt, weil es doch ein sehr deutsches Erbe ist. Und dann strahlt diese Skulptur etwas aus, was ich versuche auch meinen Skulpturen zu geben. Eine gewisse Innerlichkeit, eine Mischung aus Sensibilität und Aggressivität.“
Ein schöner Mann – was ist das?
Wie im Daumenkino scheint sich Apollon in Bewegung zu setzen, schmunzelt schelmisch, wendet sich zum Gehen. Ein ramponierter Held, ein gezeichneter Mann. Mal zieht Lüpertz die Konturen mit dicken Kohlestrichen, mal umgibt er die Figur mit fruchtigen Aquarellfarben als wehmütige Reminiszenz an die Kraft der vergangenen Jugend. In Rostock tritt der 75jährige Künstler mit den pompösen Insignien des Malerfürsten auf, Hut und Stock mit Totenkopfknauf, dazu der schwere Ring am Finger. Er habe, so erzählt er gern – eines Tages beschlossen, ein schöner Mann zu werden. Aber was ist das eigentlich – ein schöner Mann?
„Schauen Sie mich an. Was ist ein schöner Mann. Das ist eine Frage der Behauptung oder was man sich selbst vorstellt. Ich nehme an, daß meine Schönheitsvorstellungen sehr stark von der Antike geprägt sind. Und dann vom Leben. Die Schönheit ist ja auch nicht nur das Äußerliche. Sondern das hat etwas mit den Augen, mit dem Mund, mit der Gestik, mit der Haltung, mit dem was man sagt, wie man sich verhält, ob man großzügig oder kleinlich ist, das sind Dinge, die alles zu einem schönen Menschen gehören. Das sind Ideale, das sind Vorstellungen, die man hat.“
Und wenn Sie jetzt auf den Apoll gucken, was hat das Leben aus dem gemacht?
„Für mich erzählt er eine Geschichte der Ästhetik, der divergierenden Körperlichkeiten, die Beine sind sehr glatt, das Gesicht ist asketisch. Der Bart ist kraus, die Füße sind simpel. Glatte Oberfläche trifft auf sehr detaillierte Oberfläche und diese Spannung und dieses Hell Dunkel, was eine Skulptur auszeichnet, das hat er im reichen Maße und das finde ich eben seine Geschichte.“
Während sich Markus Lüpertz am Vergehen des klassischen Ideals abarbeitet, am Versiegen apollinischer Strahlkraft, jagt Andreas Mühe die Propaganda-Dämonen seiner Kindheit. Für die Serie Obersalzberg setzt er Bilder neu in Szene, die Hitlers Hof-Fotograf Walter Frentz von wartenden Nazi-Größen aufgenommen hat.
Prägung durch die frühen Jahre
„Ich habe Bilder genommen, die es wirklich gab und habe versucht, dieses Warten, diesen Gehorsam rauszuarbeiten. Ganz am Ende sind sie nackt. Und am Ende geht es darum Haltung im Leben zu haben, irgendwo dazwischen hat sich die Idee manifestiert, ich muß mich an diesen Bildern und an dieser Bildsprache abarbeiten.“
Wieviel hat das zu tun damit, daß Sie in der DDR geboren sind?
„Daß ich in der DDR geboren bin hat so eine gewisse Prägung in den ersten zehn Jahren. Als die Mauer fiel war ich zehn, das ist ja gefühlt eigentlich nichts. Aber es gab ja schon seit der ersten Klasse die Jungpioniere und diese ganzen Organisationen. Und allgemein war die Situation vom Kindergarten über die ersten Schuljahre politischer als im ehemaligen Westen. Ich glaube, diese Zeit und diese Jahre, das prägt.“
In einer Serie steht ein nackter junger Mann demütig vor grauem Hintergrund wie auf einer leeren Bühne, neigt sich servil nach vorn, legt die Hände untertänigst an die imaginäre Hosennaht. Bei Andreas Mühe ist die Macht mit Unterwerfung verbunden.
„Diese Unterwürfigkeit, die in diesen Bildern drin ist, ist dieses Warten am Berg. Dieses Warten auf das was passiert, auch dieses Unterwürfige vor dem Diktator. Man könnte da jetzt noch drunter schreiben, ah, das ist der Döhnitz, ah, das ist der Warlimont, es gibt Titel dazu, aber das ist egal. Ich glaube die Wand funktioniert ganz gut, in dieser starren Aufreihung, es ist ja auch wie so eine Heldenwand.“
Die Spannung der Ausstellung besteht im Gegensatz zwischen dem zerzausten Apollon und den glatten Jungmännern. Von zwei Seiten nehmen die beiden Künstler das Ancien Régime in die Zange, die Herrschaft alter Bilder. Aus dem konfliktreichen Dialog schälen sich verschiedene Perspektiven auf das Bild von einem Mann heraus – wahlweise geprägt von Stolz oder Beschädigung, Attitüde oder Haltung.
von Simone Reber