Hier kommt zusammen, was dem Vernehmen nach gar nicht zusammengehört: Malerei und Fotografie; Markus Lüpertz, Altstar unter den deutschen Malern, und Andreas Mühe, Shooting-Star unter den Fotografen.
Der Ältere, zur Welt gekommen 1941 im böhmischen Lieberec, wuchs im Rheinland auf, machte Karriere. Der Jüngere, geboren 1979 in Karl-Marx-Stadt, kam zur bildenden Kunst in Ostberlin.In der lichten, von allen Einbauten und Stellwänden befreiten Rostocker Kunsthalle hängen, tiefer als sonst in Museen üblich, die jüngeren Serien der beiden, die malerischen und die fotografischen.
Es passt – erstaunlicherweise
Und wer nun, auf den ersten Blick, meint, Lüpertz und Mühe könnten in ihrer Bildsprache unterschiedlicher nicht sein – außer, dass beide bei oder in Berlin leben und arbeiten – wird nach dem ersten Rundgang eines Besseren belehrt.
Erstaunlicherweise. Denn Markus Lüpertz ist Fotografiehasser. Ihn mache es wütend, sagt er unverblümt, dass die Fotografie der Königsdisziplin Malerei so dreist und beliebig den Rang streitig mache, sie sogar ersetzten wolle.
Aber, siehe da, die beiden wurden enge Freunde. Mühe, neugierig auf die expressive, den menschlichen Körper gleichsam manieristisch überstreckenden, exzessiv verdrehende Malgestik Lüpertz’, und dieser wiederum „von der malerischen Wucht, aber auch der tiefsinnigen Ironie“ der fotografischen Inszenierungen Mühes gefesselt, beschlossen, in Rostock zusammen auszustellen.
Dafür wählten sie den Titel „Ancien Régime“, einhellig interpretiert als „Übergangszeit“ oder die Zeit vor einer (künstlerischen) Revolution. Und was sie zu dieser Phase beizutragen hätten, seien ihre Bild-„Korrespondenzen“.
Reise durch die Kunstgeschichte
Was nun in der architektonisch wunderbar der Kunst dienenden Kunsthalle zu sehen ist, erweist sich zugleich auch als eine Reise durch die Kunstgeschichte. Und damit als Spiel mit historischen Bildtraditionen und Sehgewohnheiten.
Zugleich ist das Aufeinandertreffen der seriellen Lüpertz’schen Ecce-homo- Gestalten, dieser fragmentierten Schmerzensmänner, aber mit Gesichtern geiler, dionysischer Greise, und der den deutschen Romantiker Caspar David Friedrich paraphrasierenden Motive Mühes auch eine ästhetische Kollision.
Gelöst vom Zwang der Zeit nämlich erlangen beide, der Maler wie der Fotograf, eine Autonomie, die sie zwischen Gotik, Renaissance, Romantik, Tausendjährigem Reich und heute wandern lässt. Unübersehbar geht es dabei um Dialoge, um Inszenierung des Körpers im Raum, um Torso, Fragment, Pathos.
In die untere, von gleißendem Taglicht erfüllten Oberlichthalle hat Lüpertz sein gipsernes „Künstlergenie“ auf eine Holzpalette gestellt, die Malwerkzeuge in der Linken, der rechte Arm ist Fragment, ein barbarisch gestutzter Flügel fast. Diese expressive Nacktgestalt dreht Mühes Romantiker-Paraphrasen in kaltem Blau, unheilvollem brandigem Braungelb oder fast bronzenem Strahlen der untergehenden Sonne überm Wasser der Ostsee den Rücken zu.
Eine der Szenen zeigt einen nächtlichen Wald, durch dessen Stämme ein unglaublicher Vollmond scheint, durchdringend, beängstigend. Der Strand dahinter lässt sich nur ahnen. Ebenso vage ist, was der nackte Mann am Meer da macht. Er pinkelt. Welch brachiale Störung der romantischen Harmonie. Alles bloß Schein, scheint die respektlose Geste zu sagen.
Interpretationen antiker Götter
Oben, im Saal mit Empore und sanft verschattendem Oberlicht, füllt Lüpertz mit seinen 96 Zeichnungen, monochrom und farbig, die Wände. Erstmals zeigt er die ganze Werkserie zum „Apoll“ des Bildhauers Ludwig Münstermann, einer im 17. Jahrhundert entstandenen Holzfigur aus dem Berliner Bode Museum.
Lüpertz zeichnete unmittelbar vor der Skulptur, tastete die Götter-Gestalt förmlich ab mit den Stiften und Pinseln, transformierte sie zu Existenzzeichen, Halb-Akte, manieristisch, fast tänzelnd.
Apoll, Sohn des Zeus und der Leto, Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings und der Künste, trägt allzu menschliche Züge. Und so interpretiert Lüpertz, auch im Dialog und im kühnen Streit mit der tradierten Kunstgeschichte, den antiken Gott neu: als unvollkommenen, verletzbaren, lüsternen, zwiespältigen Menschen.
Mühe, Kind von Theaterleuten, früh vertraut mit Inszenierung und Verwandlung, schafft mit seinen Foto-Inszenierungen durch präzise Lichtregie irreal-schöne, beklemmenden Momenten der Verführung. Zwischen die Lüpertz-Serien hängte er Bilder aus seinem bereits berühmten „Obersalzberg“-Zyklus, mit jungen Männern, Riefenstahl-athlethisch nackt oder in schneidiger NS-Uniform – delikaterweise meistens in die „romantische“ Berchtesgadener Landschaft pinkelnd.
Die Ästhetik des Nationalsozialismus wird zur Provokation. Das Magische entsteht durch die malerischen Mittel in seiner Fotografie. Die Realität – Natur und Mensch – ist ins Imaginäre getrieben. Genau das macht Lüpertz zum Fan von Mühe.
von Ingeborg Ruthe