Märkische Allgemeine, 22. Dezember 2015
Soldatinnen, Polizistinnen, Nonnen – die Potsdamerin Anne Heinlein fotografiert uniformierte Menschen und enttarnt dabei Klischees. Auch die eigenen. In ihrem aktuellen Projekt ist sie verschwundenen Dörfern auf der Spur. Porträt einer Künstlerin, die das Rampenlicht auf Übersehenes richtet.
Potsdam. Zuerst legt Anne Heinlein die Nonnen auf den Tisch. Äbtissin Ursula sitzt seitlich, sie beäugt die Kamera mit Chefinnen-Blick. Schwester Hildegard lächelt gütig, als hielte sie ein Schäfchen im Arm. Daneben verteilt die Fotografin Porträts aus der Kampfzone. Soldatin Wordell trägt Ohrringe, die Wimpern sind geschminkt, das Tarnhemd bis über die Ellbogen hochgekrempelt. Ganz anders Kameradin Hasdorf, man ahnt Stirnrunzeln unter ihrer Kappe, die Lippen schmollen, von den Armen ist nicht viel zu sehen.
Die Masse hat viele Gesichter. Mit jeder Foto-Serie, die Anne Heinlein in ihrer Potsdamer Wohnung ausbreitet, kommen ein paar hinzu. Jede Porträtierte wirkt als Unikum in Uniform. Die Kleidung erzeugt Klischees – Kameradschaft, Härte, Enthaltsamkeit – die Kamera zeigt das dahinter. Das Rampenlicht zeigt auf die, die es gewohnt sind, als unsichtbarer Teil des großen Ganzen zu funktionieren. In der Feuerwehr, der JVA, beim Fanfarenzug. „Ich gehe in die Wirklichkeit“, sagt die 38-jährige Künstlerin – in ihrem aktuellen Projekt sind das verschwundene Dörfer im Niemandsland des ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiets.
Anne Heinleins Realität unterscheidet sich von der der Porträtierten. Luftballons vom Geburtstag eines ihrer Söhne hängen an diesem Morgen vom Lampenschirm, Spielzeughelden stehen auf der Kommode, über der eine der fotografierten Benedektinerinnen gütig aus dem Rahmen schaut. Als dreifache Mutter und ehemalige Hausbesetzerin begegnete sie den uniformierten Frauen wie ein Vogel im Aquarium. Ein ganz anderes Leben gewohnt, konnte sich die Frau mit den langen dunklen Haaren einen reglementierten Alltag in Uniform oder schwarz-weißem Gewand nicht vorstellen. Und deshalb ging sie hin – in Klöster, Kasernen, Gefängnisse – und zu Spezialeinheiten der Polizei.
Macht die Uniform wirklich alle gleich? Aus dem Wie-kann-man-nur wurde ein Ach-so-sind-die-also-wirklich. Anne Heinlein erinnert sich an Soldatinnen kurz vor ihrem Einsatz am Hindukusch, die sich schmückten und schminkten. Die eine hielt den Reflektor mit künstlichem Licht auf die andere. Weiblich und eigen, nicht hörig und gehorsam. Eine andere erfuhr vor der Fotosession, dass die Bundeswehr sie nicht in den Afghanistan-Krieg ziehen lässt. „Sei doch froh!“, sagte Anne Heinlein. War sie aber nicht, die junge Frau empfand die Nachricht als Karriereknick. Wer das weiß, erkennt Trotz in ihrem Gesicht.
„Menschen sehen am liebsten Menschen“, sagt Anne Heinlein, die für ihren Satz selbst der beste Beweis ist. Mit dem journalistischen „Warum?“ im Kopf blickt die Künstlerin anderen in die Augen und nimmt sich Zeit. Ihr gehe es beim Fotografieren ums Zwiegespräch. Auch mit den in sich ruhend wirkenden Nonnen. „In so einer Stunde weicht das Rollenbild auf“, sagt Anne Heinlein – zumal, wenn sie eines ihrer Kinder mitbringt. Den kleinen Jungen sieht man auf den Bildern nicht, die Güte in den Gesichtern könnte aber er geweckt haben. Und das ist typisch für Anne Heinleins Arbeitsweise, sie legt Format, Licht und Lage fest – aber verzichtet auf Inszenierung. Die Fotografien ergeben sich. In den Gesichtern auch uns zu erkennen und zu hinterfragen, etwa in unserem Blick auf die Uniformierten, darin liegt der Antrieb der Fotografin. „Mein Glaube ist es, dass Kunst das kann.“
Recherchen in Stasi-Akten
Gegenüber von der gütigen Nonne hängt ein gottverlassenes Waldstück an der Wand. Das Bild entstammt dem Projekt „Wüstungen“, an dem Anne Heinlein mit ihrem Mann, dem Fotografen Göran Gnaudschun, seit mehreren Jahren arbeitet. Sie fotografiert verschwundene Dörfer und Siedlungen im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet. Die DDR-Regierung ließ dort über 10.000 Menschen vertreiben. Die Künstlerin nennt mit weicher Stimme harte Fakten, beschreibt die Orte wie verwundete Menschen: „Die haben teilweise 1000 Jahre gelebt – und 40 Jahre standen sie am falschen Fleck.“ In dieser Arbeit porträtiert sie Menschen, ohne dass die überhaupt auftreten. Mit ihrer Plattenkamera fotografiert sie in schwarz-weiß die überwucherten Flecken, erschafft eine leere Bühne, die der Betrachter mit Hilfe der begleitenden Texte und der eigenen Fantasie füllt.
In Stasi-Akten und anderem Archivmaterial haben Anne Heinlein und Göran Gnaudschun von ihrer Heimat beraubten Bewohnern gelesen, die sich das Leben nahmen und Menschen, die ins Visier der Staatsmacht gerieten, weil sie mit dem Feldstecher nach Westen schauten. Die verwunschen wirkenden ex-Dörfer hätten „die Aura eines Friedhofs – alle sind tot, aber etwas bleibt zurück“. Und so lenkt Anne Heinlein das Rampenlicht wieder auf Menschen, die in der Masse zu verschwinden drohen.
Von Maurice Wojach